Familienkonzeptbezogene Lern- und Bildungsprozesse im Rahmen familiärer Übergänge
Ausgangslage:
Übergänge sind besonders herausfordernde Phasen im Lebenslauf von Familien. Herausfordernd sind diese Lebensphasen insbesondere deshalb, da in ihnen der Familienalltag neu gestaltet wird und sich Familienmitglieder besonders intensiv mit Familienkonzepten, also mit Vorstellungen davon, wie der Familienalltag zu gestalten ist, auseinandersetzen. Dies trifft auf als ‚normal‘ erlebte Übergänge wie etwa den Übergang von einer Partner- zu einer Elternschaft im Zuge der Geburt des ersten Kindes oder auch den Wiedereinstieg des hauptsorgetragenden Elternteils (meist die Mütter) in das Berufsleben ebenso zu, wie auf als ‚Krise‘ empfundene Übergänge wie z.B. eine Trennung oder Scheidung und die ggf. erfolgende Gründung einer Stieffamilie. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Wandlungsprozesse, wie z.B. der Pluralisierung der Familienformen, dem Wandel der Geschlechterrollen, veränderten Arbeitsmarktbedingungen oder einer zunehmenden Bedeutung von Migrationsprozessen in Familienbiografien gibt es häufig keine klaren gesellschaftlichen Vorgaben zur Gestaltung des Familienalltags mehr, an denen man sich orientieren könnte. Ebenso hilft der Rückgriff auf tradierte Vorgaben, wie etwa die eigenen Erfahrungen in der Herkunftsfamilie, häufig nur begrenzt bei der Bewältigung des gegenwärtigen Alltags von Familien.
Ziele:
Im Forschungsprojekt soll untersucht werden, wie sich Familienkonzepte von Eltern im Rahmen familiärer Übergänge verändern, welche Lern- und Bildungsprozesse hinter diesen Veränderungen stehen und welche Faktoren Lern- und Bildungsprozesse erleichtern bzw. blockieren. Es setzt dabei mit der Untersuchung von Familienkonzepten auf einer die verschiedenen Dimensionen der familialen Alltagsgestaltung (doing family) reflexiv umfassenden Ebene an und identifiziert und beschreibt die Prozesse, in denen Familienkonzepte transformiert werden. Ein Verständnis dieser Transformationsprozesse bietet u.a. auch Aufschluss darüber, wie sozialer Wandel individuell-biographisch verarbeitet wird und erlaubt Rückschlüsse über die zukünftige Entwicklung der Familienformen. Über die empirisch fundierte Beschreibung von Familienkonzeptbezogenen Lern und Bildungsprozessen hinaus ist es jedoch ein Anliegen des Forschungsprojektes, das in Grundzügen anhand einer Pilotstudie entwickelte Familienkonzeptmodell als theoretisches Modell zur Beschreibung Familienkonzeptbezogener Bildungsprozesse zu verifizieren und weiterzuentwickeln.
Das Projekt betreibt damit Grundlagenforschung, hat aber dennoch den Anspruch Anregungen für die praktische Arbeit in Arbeitsfeldern der Familienbildung und der Jugendhilfe zu generieren. So sollen z.B. methodische und diagnostische Instrumente für die Praxis auf der Basis der Forschungsergebnisse entwickelt werden.
Methoden:
Grundlage des Projektes ist eine Qualitative Längsschnittstudie in der (soweit möglich: beide) Eltern von 56 Familien in verschiedenen Übergangssituationen mit im Abstand von 1,5 Jahren zu ihren Familienkonzepten befragt werden. Dabei steht die Untersuchung von Familien im Vordergrund, deren Veränderungsbedarf im Rahmen des lebenslaufbedingten Übergangs zur Elternschaft sowie im Rahmen krisenbedingter Übergänge zu Ein-Eltern-Familien sowie Fortsetzungsfamilien durch die Inanspruchnahme familienunterstützender Dienstleistungen zum Ausdruck kommt (Angebote der Familienbildung sowie der Hilfen zur Erziehung). Die gewählte Methode zur Erforschung von Familienkonzepten beruht auf der Verbindung eines qualitativen Leitfadeninterviews mit visualisierenden Verfahren und Fotoanalysen. Dies folgt der Annahme, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit – und somit auch Familie – nicht nur sprachlich, sondern ebenso mittels bildhafter Vorstellungen konstruiert und rekonstruiert wird.
Die Leitfadeninterviews finden in zwei Wellen statt. Im ersten Interview wird durch eine relativ offene Erzählaufforderung, die Familiensituation sowie die Familiengeschichte unter Einbeziehung von Familienfotos erfasst (narrativer Interviewteil). Außerdem werden die Interviewpartner und partnerinnen gebeten, mit Hilfe von Playmobil-Material typische Alltagssituationen aus ihrer gegenwärtigen Familie, aus ihrer Herkunftsfamilie sowie mögliche Wunsch- bzw. Zukunftsbilder darzustellen und zu beschreiben.
Die Interviews der zweiten Interviewwelle sind ähnlich strukturiert, legen den Akzent jedoch auf die Thematisierung von Veränderungen im Familienkonzept. Die Thematisierung des gegenwärtigen Familienalltags sowie einer typischen Alltagsszene bleibt methodisch erhalten, wie auch wiederum das Zukunftsbild thematisiert wird. Anstelle einer Thematisierung des erlebten Alltags in der eigenen Herkunftsfamilie werden in der zweiten Interviewhälfte Veränderungsprozesse thematisiert. Dabei steht neben der Identifikation von Veränderungen auch immer die Frage nach den diese Wandlungsprozesse unterstützenden sowie behindernden Faktoren im Fokus der Gesprächsführung.
Sample und Laufzeit:
Das Forschungsprojekt wurde von April 2013 bis Dezember 2016 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Das Projekt gliedert sich in zwei Projektphasen. Im Rahmen der ersten Projektphase (Projektmonate 1-19) steht die Rekonstruktion des Status Quo der Familienkonzepte im Vordergrund. In der zweiten Projektphase werden dann Familienkonzeptbezogene Transformationen erarbeitet (Projektmonate 19-36). Es werden insgesamt 56 Familien untersucht, wo möglich werden beide Elternteile in Einzelinterviews befragt.
Veröffentlichungen:
Uwe Uhlendorff, Matthias Euteneuer (2020): Familie und Familienalltag als Bildungsherausforderung. 2019, 329 S., Weinheim/Basel, Beltz Juventa, ISBN 978-3-7799-3895-8
Euteneuer, Matthias (2017) Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung - Elterliche Reflexions- und Transformationsprozesse im Kontext biographischer Erfahrungen und sozialem Wandel. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, (1), 70-85 (DOI: 10.3262/ZSE1701070)
Euteneuer, Matthias/Mücher, Frank/Uhlendorff, Uwe (2017): Familienkonzepte als lern- und bildungsrelevante Konstellation von Familienbildern In: Bauer, Petra /Wiezorek, Christine: Familienbilder zwischen Kontinuität und Wandel – Analysen zur (sozial-)pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Bezugnahme auf Familie. Weinheim: Beltz, S. 229-245
Euteneuer, Matthias/Mücher, Frank (2015) Rekonstruktion familienkonzeptbezogener Lern- und Bildungsprozesse. Ein theoretisch-methodologischer Blick auf die Konstruktion von Familienzusammenhängen im Rahmen familiärer Übergänge. In: Lesssenich, Stephan (Hrsg.): Routinen der Krise - Krise der Routinen. Verhandlungen des 37. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Trier 2014, S. 1-13, verfügbar über publikationen.soziologie.de/index.php/
Euteneuer, Matthias/Uhlendorff, Uwe (2014): Familie und Familienalltag als Bildungsherausforderung. Ein theoretisches Modell zur empirischen Untersuchung familienkonzeptbezogener Lern- und Bildungsprozesse. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 16 (4), 723-742 (DOI: 10.1007/s11618-014-0583-5)
Euteneuer, Matthias/Uhlendorff, Uwe (2014): Family concepts – a social pedagogic approach to understanding family development and working with families. In: European Journal of Social Work, 17 (5), 702-717 (DOI: 10.1080/13691457.2014.945151)
Athanassiadou, Zoi/Euteneuer, Matthias/Mücher, Frank/Uhlendorff, Uwe (2015): Familienkonzepte – ein sozialpädagogischer Blick auf die Gestaltung familialer Lebenswelten. In: Fegter, Susann/Heite, Catrin/Mierendorff, Johanna/Richter, Martina (Hrsg.): Transformationen von Familie und Elternschaft – sozialpädagogische Perspektiven. Neue Praxis Sonderheft, Neue Praxis: Lahnstein, S. 12-24
Kontakt:
Leitung: Prof. Dr. Uwe Uhlendorff
Mitarbeiter:Dr. Matthias Euteneuer, Dr. Frank Mücher, Dipl. Päd. Zoi Athanassiadou
Learning and educational processes concerning family concepts – a study on families undergoing transitions.
Short description of the research project, supported by the German Research Foundation (DFG)
Starting point:
Transitions are particularly challenging periods in the life course of families since the family’s daily routine is being reshaped during these phases. It is also challenging because family members intensively deal with family concepts, i.e. ideas about how to shape their everyday life. This applies to ‘normally’ experienced transitions (such as the transition from partnership to parenthood in the process of having the first child or the return to paid labor of the mainly caring parent) as well as to those transitions which are experienced as a ‘crisis’, (e.g. a separation or a divorce including the possible founding of a stepfamily). In the context of processes of social change such as the pluralization of family forms, the change of gender roles, changed labor market conditions or an increasing significance of migration processes in family biographies there are often no clear social guidelines any more, which might serve as orientation for the design of the families’ everyday life. Similarly, the recourse to traditional guidelines, such as the own experiences in the family of origin, often only slightly helps in coping with the current daily life of families.
Objectives:
In the research project it will be investigated how parents’ family concepts change in the context of family transitions, which learning and educational processes stand behind these changes and which factors facilitate or hinder learning and educational processes. For that reason, the research project attaches to the investigation of family concepts on a level which reflexively comprises the different dimensions of the design of everyday family life (‘doing family’). It identifies and describes processes, in which family concepts are transformed. An understanding of these transformation processes also provides new insight into the question how social change is individually-biographically dealt with and allows to draw conclusions about the future development of family forms. Apart from the empirically founded description of learning and educational processes concerning family concepts it is the intention of the research project to verify and further develop the family concept model, which was developed on the basis of a pilot study serving as a theoretical model for the description of learning and educational processes concerning family concepts.
Thus, the project conducts basic research but nevertheless claims to generate ideas for the practical work in the field of family education and youth welfare. For that reason, methodological and diagnostic instruments will be developed on the basis of the results of the research in order to be put into practice.
Methods:
The basis of the project is a qualitative longitudinal study in which parents from 56 families, at different transitions, are questioned concerning their family concepts in intervals of 1,5 years. At the core of attention is the study of families who have a need for change which is shown by the use of family support services (e.g. family education or socio-educational provisions for children). The study will examine families who are at the biographical transition to parenthood, where main caregivers return to paid labor as well as families who are at the critical transition to single-parent families and patchwork families.
The chosen method for the research of family concepts is based on qualitative guideline interviews combined with methods to visualize everyday life scenes within the interview as well as photo analyses. This method-mix was chosen because the social reality, which includes families as well, can be depicted verbally but with pictures as well.
The qualitative guideline interviews will take place twice. In the first interview, the interviewees are asked to describe their family situation and their family biography using current family photos as a starting point. Additionally, the interviewees are asked to depict a typical everyday life situation from their current family situation, from their family of origin as well as their family ideals with the help of toy figures and furniture.
The second interview is similarly structured but it focuses more on changes of the family concept wich has taken place since the first interview. Main subject of the interview is still the current daily family life, a typical everyday situation and the family ideals. But in the second half of the interview, processes of change will be discussed instead of focusing on the family of origin’s everyday life. Another focus of the interview will be, besides the identification of these processes, on factors which support or hinder them.
Sample and Duration:
The research project was funded by the German Research Foundation (Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG) from April 2013 to December 2016 . The project is subdivided into two phases. Within the context of the first phase (project months 1-19), the reconstruction of the status quo of the family concepts is in the main focus of interest. In the second phase (project months 19-36), transformations concerning the family concepts will be worked out. 56 families will be studied in total; if possible both parents will be interviewed in individual interviews.
Publications:
Uwe Uhlendorff, Matthias Euteneuer (2020): Familie und Familienalltag als Bildungsherausforderung. 2019, 329 S., Weinheim/Basel, Beltz Juventa, ISBN 978-3-7799-3895-8
Euteneuer, Matthias (2017) Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung - Elterliche Reflexions- und Transformationsprozesse im Kontext biographischer Erfahrungen und sozialem Wandel. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, (1), 70-85 (DOI: 10.3262/ZSE1701070)
Euteneuer, Matthias/Mücher, Frank/Uhlendorff, Uwe (2017): Familienkonzepte als lern- und bildungsrelevante Konstellation von Familienbildern In: Bauer, Petra /Wiezorek, Christine: Familienbilder zwischen Kontinuität und Wandel – Analysen zur (sozial-)pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Bezugnahme auf Familie. Weinheim: Beltz, S. 229-245
Euteneuer, Matthias/Mücher, Frank (2015) Rekonstruktion familienkonzeptbezogener Lern- und Bildungsprozesse. Ein theoretisch-methodologischer Blick auf die Konstruktion von Familienzusammenhängen im Rahmen familiärer Übergänge. In: Lesssenich, Stephan (Hrsg.): Routinen der Krise - Krise der Routinen. Verhandlungen des 37. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Trier 2014, S. 1-13, verfügbar über publikationen.soziologie.de/index.php/
Euteneuer, Matthias/Uhlendorff, Uwe (2014): Familie und Familienalltag als Bildungsherausforderung. Ein theoretisches Modell zur empirischen Untersuchung familienkonzeptbezogener Lern- und Bildungsprozesse. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 16 (4), 723-742 (DOI: 10.1007/s11618-014-0583-5)
Euteneuer, Matthias/Uhlendorff, Uwe (2014): Family concepts – a social pedagogic approach to understanding family development and working with families. In: European Journal of Social Work, 17 (5), 702-717 (DOI: 10.1080/13691457.2014.945151)
Athanassiadou, Zoi/Euteneuer, Matthias/Mücher, Frank/Uhlendorff, Uwe (2015): Familienkonzepte – ein sozialpädagogischer Blick auf die Gestaltung familialer Lebenswelten. In: Fegter, Susann/Heite, Catrin/Mierendorff, Johanna/Richter, Martina (Hrsg.): Transformationen von Familie und Elternschaft – sozialpädagogische Perspektiven. Neue Praxis Sonderheft, Neue Praxis: Lahnstein, S. 12-24
Contact:
Management: Prof. Dr. Uwe Uhlendorff
Researchers : Dr. Matthias Euteneuer, Dr. Frank Mücher, Dipl. Päd. Zoi Athanassiadou